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Rund 50 Prozent aller Führungskräfte hierzulande demotivieren ihre Mitarbeiter, anstatt sie zu motivieren – das zumindest besagt eine Studie der Unternehmensberatung Hay Group. Gute Führung ist offenbar eine Kunst, die nur wenige Chefs beherrschen. Erinnern Sie sich an Ihre ersten Tanzstunden? Wer führt, sollte sich flexibel und geschmeidig auf sein Gegenüber einstellen – sonst wirkt die Performance am Parkett hölzern. Guter Führungsstil ist also wandelbar. Lesen Sie hier, welche unterschiedlichen Führungsstile Sie kennen sollten und wie sie diese gezielt einsetzen, um Ihre Mitarbeiter zu motivieren, anstatt ihnen die Lust an der Arbeit zu nehmen.
Führung als Frustrationsquelle
Das Thema Führungsstile mag auf den ersten Blick recht theoretisch klingen – in der Praxis hat es erhebliche Auswirkungen. Erst kürzlich habe ich den verzweifelten Anruf eines Vertriebsleiters erhalten, der im Elektro-Großhandel arbeitet. „Rainer“, sagte er, „wir haben ja gerade Sommerzeit. Die Menschen treiben sich draußen in den Parks und in den Freibädern herum, anstatt unsere Produkte zu kaufen. Das machen sie erst wieder im Winter, wenn das Wetter schlecht ist. Meine Mitarbeiter haben daher wenig zu tun. Da habe ich mir gedacht, wir sollten die Zeit doch sinnvoll nutzen und Neukunden gewinnen. Wir haben eine riesige Kundendatei mit tausenden potentiellen Kunden, da gibt es Möglichkeiten ohne Ende. Ich habe meine Mitarbeiter also zu mir gerufen und habe ihnen gesagt, ich habe ein schönes Ziel für euch: Jeder Einzelne gewinnt im August dreißig neue Kunden. In vier Wochen will ich eure Ergebnisse sehen.“
Sie ahnen es möglicherweise: Vier Wochen später hat dieser Vertriebsleiter eine herbe Enttäuschung erlebt. Die Mitarbeiter sind weit hinter seinem ehrgeizigen Ziel zurückgeblieben, sie konnten nur ganz wenige Kunden neu gewinnen. Für den Vertriebsleiter war das unbegreiflich. Dabei hatte der Misserfolg sehr viel mit ihm und seiner Führung zu tun. Dieser Chef hat ganz einfach einen unpassenden Führungsstil gewählt. Und damit hat er sowohl sich selbst als auch seine Mitarbeiter gehörig frustriert.
Führungsstile und Reifegrade: Das Topf-und-Deckel-Prinzip
In einem früheren Blogbeitrag habe ich bereits erwähnt, dass unsere Kunden unterschiedliche Reifegrade besitzen. Gleiches gilt für Mitarbeiter. Auch sie besitzen unterschiedliche Reifegrade, die von verschiedenen Faktoren abhängen: Neben den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die der Mitarbeiter besitzt, spielen vor allem seine Leistungsmotivation und sein Verantwortungsbewusstsein eine Rolle. Ganz ähnlich wie der Gesprächsstil im Verkaufsgespräch sollte sich auch Ihr Führungsstil am Reifegrad des Mitarbeiters orientieren. Es gibt also keine an sich „guten“ oder „schlechten“ Führungsstile. Sie müssen ganz einfach passend sein, ähnlich wie der sprichwörtliche Topf zum Deckel.
Der oben erwähnte Vertriebsleiter hat seine Führung am sogenannten Delegationsstil orientiert: Er hat ein Ziel festgesetzt und hat seinen Mitarbeitern die Entscheidung überlassen, wie sie dieses erreichen. Dieser delegative Führungsstil eignet sich für Mitarbeiter, die bereits einen sehr hohen Reifegrad besitzen. Im konkreten Fall war er unpassend. Denn die Mitarbeiter dieses Elektro-Großhandelsunternehmens sind üblicherweise Ordertaker, sie bekommen laufend Anfragen von Kunden und bearbeiten diese. Mit Kaltakquise haben sie wenig Erfahrung, und vor allem sind sie dazu wenig motiviert.
Geringer Reifegrad: Informieren und unterweisen
Nach dem bekannten Reifegrad-Modell von Hersey und Blanchard hatten diese Mitarbeiter bei der Neukundengewinnung einen Reifegrad von 1. Gute Führung darf und soll in diesem Fall direktiv sein: Als Führungskraft müssen Sie Mitarbeiter mit geringem Reifegrad engmaschig betreuen und ihnen konkrete Aufgaben zuweisen. Möglicherweise brauchen sie zusätzliche Information, da ihnen die notwendigen Fertigkeiten fehlen. Führung ist daher mit hohem Engagement und laufender Überwachung verbunden. Der Vertriebsleiter in unserem Beispiel hätte sich daher laufend Zeit für Teambesprechungen nehmen müssen, um Erfolge zu würdigen und Fehler zu korrigieren.
Mittlerer Reifegrad: Kooperieren und partizipieren lassen
Anstatt Kaltakquise – die bei Mitarbeitern in der Regel recht unbeliebt ist – hätte das Ziel für das Sommerloch auch lauten können, eine tiefere Durchdringung bei bestehenden Kunden zu erreichen. Cross-Selling, also das Verkaufen von zusätzlichen Produkten, stellt für die Mitarbeiter dieses Elektro-Großhandelsunternehmens keine gänzlich neue Situation dar. Sie haben hier vermutlich einen mittleren Reifegrad von 2 oder 3. Die geeigneten Führungsstile bezeichnet man als kooperativ und partizipativ.
Mitarbeiter mit einem Reifegrad von 2 verfügen bereits über gewisse zielspezifische Fähigkeiten. Führung sollte in diesem Fall über reine Anweisungen hinausgehen: Als Chef sollten Sie diesen Mitarbeitern Ihre Entscheidungen erklären und sie davon überzeugen, warum es etwa sinnvoll ist, weitere Produkte an bestehende Kunden zu verkaufen. Hier kommt es somit bereits zu einer Kooperation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter.
Diese Kooperation lässt sich bei Mitarbeitern mit einem Reifegrad von 3 zu einer echten Partizipation ausbauen. Sie lassen Ihr Team etwa im Meeting selbstständig Ideen entwickeln, um eine höhere Durchdringung bei Bestandskunden zu erzielen. Mit Sicherheit sind darunter einige gute Vorschläge, die Sie gemeinsam besprechen und weiterentwickeln. Die beiden Führungsstile Kooperation und Partizipation ähneln sich insofern, als Führungskraft und Mitarbeiter partnerschaftlich miteinander umgehen.
Hoher Reifegrad: Delegieren oder der Verzicht auf Führung
Der delegative Führungsstil, den der Vertriebsleiter in unserem Beispiel gewählt hat, ist erst bei Mitarbeitern mit einem hohen Reifegrad von 4 angemessen. In diesem Fall können Sie sich als Chef zurücklehnen und auf Führungsaufgaben weitgehend verzichten. Und: Vertriebsmitarbeiter mit einem hohen Reifegrad setzen während eines Sommerlochs von sich aus Aktivitäten, um ihren Umsatz anzukurbeln. Bereits die Zielvorgabe des Vertriebsleiters wäre in diesem Fall überflüssig.
Führungsstile – bleiben Sie geschmeidig!
Als Führungskraft sollten Sie also unterschiedliche Führungsstile beherrschen und flexibel anwenden. Bei einigen Mitarbeitern sollten sie recht bestimmend sein, bei anderen kooperativ, und wieder anderen Mitarbeitern sollten Sie am besten möglichst wenig ins Handwerk pfuschen.
Führungsstile orientieren sich zunächst am Reifegrad der Mitarbeiter. Sie sind darüber hinaus abhängig von der konkreten Situation: Denn ein Mitarbeiter kann durchaus einen hohen Reifegrad besitzen, wenn es um die Betreuung bestehender Kunden geht, und zugleich einen geringen Reifegrad bei der Neukundenakquise. Reifegrade von Mitarbeitern sind also immer an Ziele oder Aufgaben gekoppelt – und damit variieren auch die passenden Führungsstile.
Reifegrad von Mitarbeitern – oft unterschätzt
Und wie stellen Sie nun fest, welchen Reifegrad Ihre Mitarbeiter besitzen? Ein wertvolles Test-Tool, das sich an dem Modell von Hersey und Blanchard orientiert, habe ich hier zum Download für Sie vorbereitet. Dieser Test differenziert zwischen zwei verschiedenen Aspekten, nämlich einer Aufgabenreife und einer psychologischen Reife in Bezug auf konkrete Ziele. Beide Aspekte bewerten Sie anhand mehrerer Kriterien nach Punkten. Das Ergebnis zeigt Ihnen sofort, welche Art der Führung angemessen ist.
Meiner Erfahrung nach werden Mitarbeiter fast durchwegs unterschätzt – mit gravierenden Folgen: Führungskräfte wählen einen zu niedrigen Führungsstil. Sie übertragen kaum Verantwortung und überwachen ihre Mitarbeiter laufend – was für diese natürlich frustrierend ist. Dass Mitarbeitern zu viel zugetraut wird, wie eingangs in unserem Beispiel, ist eher die Ausnahme als die Regel.
Gute Führung – eine Frage des Stils
Effektive Führung soll Mitarbeiter selbstverständlich motivieren, anstatt sie zu demotivieren. Ihr Ziel sollte es daher sein, Führungsstile flexibel und passend zur jeweiligen Situation einzusetzen: Je nach Reifegrad des Mitarbeiters sollten Sie die Zügel bei verschiedenen Aufgaben lockern oder straffer ziehen. Auf diese Weise handeln sie motivierend, anstatt Ihr Team zu überfordern oder zu frustrieren.